Samstag, 5. August 2023

MAX REINHARDT UND PHOTO ELLINGER: SALZBURGER FESTSPIELE 2023

Sollten Sie öfters bei meinem Blog vorbeischauen, so werden Sie sich jetzt vermutlich wundern. Ich durchbreche mein bisher relativ strikt eingehaltenes Konzept der Bilder plus Zitate und fange einfach an, Persönliches zu erzählen. Die Salzburger Festspiele machen's möglich.

Bilder der Reinhardtschen Jedermann-Inszenierung von Photo Ellinger begrenzen die Tribüne

Damit Ihnen der Text aber nicht gar zu langweilig wird, stelle ich auch meine Bilder vom vor ein paar Tagen unternommenen abendlichen Stadtspaziergang dazu. Die Domuhr möge Sie übrigens nicht verwirren, sie verweigert sich der Sommerzeit. Eigentlich wollte ich noch wesentlich mehr im Festspielbezirk präsente "Ellingers" einfangen, aber der Bauzaun, der den Ü-Wagen des ORF letzte Woche umschloss und den riesige Festspielphotos behübschten, war ebenso verschwunden wie jegliche Spur der ORF-Präsenz.

Nun zu meiner Erzählung, die sich vorerst (und um ehrlich zu sein: primär) um meine eigene Festspielgeschichte dreht. Die ist eine unendlich lange, sie begann bereits pränatal. 

Dazu die Vorgeschichte: Wie in der Webserie "Die doppelte Frau" (alle Episoden, Episode 1 ganz unten im verlinkten Text) zu erfahren, hat meine Großmutter Betty Steinhart 1916 das Salzburger Photoatelier von Carl Ellinger gekauft. Ab Beginn der Festspiele 1920 bis zur Auflösung des Ateliers 1979 wurden sämtliche Festspielaufführungen vom Atelier Ellinger photographisch festgehalten. Mit Ausnahme der NS-Zeit.

Warum meine Festspielgeschichte pränatal beginnt? Ich bin Anfang September geboren, anständiger Weise erst 3 Tage nach dem Ende der Festspiele, bei denen meine hochschwangere Mutter namens Ruth Oberhofer, ebenfalls Photographin und später Leiterin von Photo Ellinger, noch heftig fürs Atelier gearbeitet hat.

In der Franziskanergasse zu den Dombögen schlendernd erahnt man die Photos
Als Kinder wurden meine Schwester und ich während der tourbulenten Festspielwochen, in der für Großmutter und Mutter und die Mitarbeitenden kaum Zeit für Essen und Schlafen und schon gar nicht für Kinderbetreuung zur Verfügung stand, zu aufnahmewilligen Verwandten und Freundinnen verschickt. Waren wir zu Hause, wurden die ausgearbeiteten Photos in einem klatschnassen Stapel in die Wohnung geliefert und wir Kinder legten sie einzeln, dicht an dicht auf Tücher. Diese Art der Kinderarbeit war begrenzt unterhaltsam, die mit Bildern von den Festspielaufführungen und mit Portraits der Kunstschaffenden vollgepflasterte Wohnung war aber reizvoll für mich. Ins Bett über die wenigen freien Stellen am Boden zu balancieren und umgeben zu sein von Sena Jurinac, Elisabeth Schwarzkopf oder Cesare Siepi - wer hat das schon?

Als wir endlich 15 Jahre alt waren, durften wir während der Ferien im Geschäft mitarbeiten. Das bedeutete für mich, das erste Mal neben der Begegnung mit höchst spannenden Festspielleuten im Atelier auch Theaterphotographie aktiv mitzuerleben, also selbst bei den Proben zu photographieren. Vorerst nur bei Reprisen oder Vorstellungen, von denen vorherzusagen war, dass das Interesse an Bildern sich in Grenzen halten würde. Was soll ich sagen? Es war einfach großartig!

Ellingerbild von der Wiederaufnahme des Jedermann 1926 mit Alexander Moissi und Dagny Servaes

Mit zunehmendem Können und insbesondere nach der Matura, als ich im Atelier regulär arbeitete, wurde mir rasch mehr zugetraut und diese Photoproben waren Highlights meiner Jugend und weit darüber hinaus. Denn nachdem meine Mutter das Atelier aus gesundheitlichen Gründen 1979 auflösen musste und das Archiv der Max-Reinhardt-Forschungstätte übergeben hatte (heute sind die Bilder größtenteils Bestandteil des Archivs der Salzburger Festspiele), war sie bis zu ihrem Tod 1991 nebst einer Begleitperson als Photographin akkreditiert. 

Was tun, wenn am einzig regenfreien Tag das Licht suboptimal ist?

Als ich vor kurzem nachgerechnet habe, war ich erstaunt: Ich habe mehr als 25 Jahre bei Festspielproben photographiert und ein Gutteil dieser Aufnahmen liegt heute im Archiv der Salzburger Festspiele.

Nach einer jahrzehntelangen Pause war es mir heuer wieder möglich, bei einigen Proben zu photographieren. Ich liebe Oper, ich liebe Theater. Die Krönung jedoch ist das Festhalten des Augenblicks auf der Bühne, das visuelle Nachspüren sowohl dem Werk als auch der Inszenierung. Es ist einfach unbeschreiblich; das ist höchste Lust für mich.

Als die Tischgesellschaft noch am Tisch saß. ;-)

Was hat nun Max Reinhardt damit zu tun, wie der Titel dieses Eintrags vermuten lässt? Es wird heuer seines 150. Geburtstags gedacht und Ellinger-Bilder von ihm tauchen allenthalben auf. Reinhardts Inszenierungen, Reinhardt bei der Jedermann- und der Faust-Probe und auch jene Serie von ihm, die in Schloss Leopoldskron entstand, tauchen in Printmedien und im Netz vermehrt auf. 

Aktivitäten des ASF im "Reinhardt-Jahr", alle Bilder von Reinhardt bei Faust-Proben: Photo Ellinger
Wie oben erwähnt gibt es ab 1920, dem ersten Jahr der Salzburger Festspiele, Festspielbilder von Photo Ellinger. Von den Proben und Aufführungen ebenso wie private Photos der Mitwirkenden und illustren Gäste, die sich damals noch unbefangen in der Stadt tummelten. Ganz besonders wichtig und mehr als andere abgebildet natürlich Max Reinhardt als einer der Gründerväter und gewichtiger Regisseur.

Eigentlich ist dieser frühe Fokus auf die Festspiele erstaunlich, war doch Photo Ellinger ein Gewerbebetrieb in der Provinz, der ursprünglich auf Portraits, Hochzeits- und Kinderphotos, Passbilder und - bei entsprechendem Auftrag - auch Reportagen lokaler Ereignisse spezialisiert war. Von Bildern der anfangs doch ziemlich umstrittenen Salzburger Festspiele war während der 1920er-Jahre sicher kein Renommee und schon gar kein finanzieller Gewinn zu erwarten. Darüber hinaus wurden personelle und materielle Ressourcen gebunden, wobei man bedenken muss, dass der 1. Weltkrieg kaum vorbei war und auch das Atelier Ellinger in der Nachkriegszeit nicht gerade florierte.

Ellinger-Photo von Max Reinhardt im Schloss Leopoldskron, Quelle Magazin Salzburgerland; © s.o.
  
Warum also diese stattliche Menge an Photographien? Meine Interpretation: das Engagement bei den Festspielen ist dem Interesse und der Aufgeschlossenheit der Geschäftsinhaberin Betty Steinhart (später Hvizdalek, zuletzt Platter, ab 1916 im Geschäft immer Ellinger) zu verdanken.

Ellinger-Portraits allenthalben
Max Reinhardt und die vielen anderen Größen der frühen Festspieltage habe ich durch viele Erzählungen meiner Großmutter kennengelernt, die Bilder dieser Schlüsselfiguren der Salzburger Festspiele wurden über die Jahre von Verlagen, Sammlern, Museen und anderen Einrichtungen nachgefragt und werden auch heute noch häufig publiziert, auch ohne Gedenkjahr. Achten Sie einmal darauf, auch im Netz stoßen Sie - so überhaupt korrekt die Urheberschaft angegeben wurde - auf Photo Ellinger. Sie müssten als Quelle "ASF" beziehungsweise "Archiv der Salzburger Festspiele" und "Photo Ellinger" entdecken. Gelegentlich auch unkorrekt "Foto Ellinger".

Das Ellinger-Portrait von Reinhardt und jene von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauß hingen ewige Zeiten an prominenter Stelle im Atelier und sind dank der Kellergrabungsarbeiten des Neffen vor Kurzem bei mir gelandet. Ich musste die drei aus Platzgründen trennen.

Dieses Atelier der beiden Frauen, die den Name Ellinger quasi als Pseudonym führten, ist also ein wesentlicher Teil meiner Geschichte. Die Photographie, aber auch die Salzburger Festspiele, haben mich von Kindheit an intensiv geprägt. 

Die Pseudonyme Anfang der 70er-Jahre v.r.n.l.: Frau Elinger, die junge Frau und das Fräulein Ellinger
Nun, nach so vielen Jahren wieder zur Festspielphotographie zurückkehren zu können, erzeugt nicht nur Glücksgefühle, es tauchen auch zahllose Erinnerungen auf. 

Erinnerungen nicht nur an die Künstlerinnen und Künstler, die ins Atelier kamen, um ihre Bilder auszusuchen, sondern auch an die Photograph:innen, mit denen wir uns lange Probennächte um die Ohren geschlagen haben wie Harry Weber, Barbara Pflaum, Annie Madner, Felicitas Timpe, um nur ein paar zu nennen. Natürlich kommen mir auch die Journalist:innen in den Sinn, die regelmäßig im Atelier nach den passendsten Bildern zu ihren Beiträgen gesucht haben oder einfach so zum Tratschen vorbeigekommen sind, wie zum Beispiel Duglore Pizzini, Karl Löbl und Franz Endler. Dessen Artikel zur Auflösung des Ateliers führe ich Ihnen (per Klick vergrößerbar) vor Augen.

Franz Endler in "Die Presse", 9.8.1980
Um Franz Endlers Gedanken aufzugreifen: Man hat zum Glück durchaus begriffen, was das Archiv von Photo Ellinger für die Salzburger Festspiele bedeutet und in diesem Zusammenhang möchte ich Margarethe Lasinger, der Leiterin des Archivs der Salzburger Festspiele, ebenso herzlich für die entgegengebrachte Wertschätzung danken wie Ulla Kalchmair, der Pressechefin der Salzburger Festspiele. Auch Victoria Morino, die stets hilfreich ist, wenn ich während der weiter andauernden Arbeiten an meinem ausufernden eigenen Archiv beim Identifizieren von Festspielkünstler:innen Unterstützung brauche.

Last not least ist noch mein Neffe Andreas Sanders zu erwähnen, der so wie ich durch die Ruth Oberhofersche "Ellinger-Schule" gegangen und dadurch ein ebenso besessener Photograph ist, wie ich es bin. Die gemeinsamen Phototouren nebst Erinnerungsauffrischungen sind wonnig. Unseren Vormüttern sei Dank.

Roméo et Juliette (Salzburger Festspiele 2008) am 2.8.2023 am Kapitelplatz. Die Stadt ist Bühne.

PS: Ich brauche hoffentlich nicht zu erwähnen, dass die Rechte an allen von mir veröffentlichten Photos ausschließlich bei mir liegen und jede Verwendung ohne meine Zustimmung illegal ist.

PPS: Zum Weiterlesen bezüglich Reinhardt-Jahr der Artikel von Frau Lasinger in der Presse und die Site der Salzburger Festspiele mit den Ankündigungen der Aktivitäten. Mit welchen Photos? Sie haben es erraten. ;-)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihre Kommentare und Diskussionsbeiträge sind höchst erwünscht. Da ich aber Spam ausschließen will, moderiere ich die Kommentare. Haben Sie bitte Verständnis, dass Ihr Beitrag nicht sofort erscheint.