Donnerstag, 25. Juli 2024

Photographischer Kopfstand

»Photography is an immediate reaction, drawing is a meditation.«

Welche:r Photograph:in kennt es nicht: Die Bilder, die zwar im Kopf weiter spuken, aber nie aufgenommen wurden oder einfach daneben gegangen sind, wenn man auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu spät exponiert hat.

Lassen Sie mich das oben wiedergegebene Zitat von Cartier-Bresson annektieren und auf meine ganz banale Ebene zerren; mit einem kleinen photographischen Kopfstand. Denn ich will Ihnen ein Bild von einer halbwegs geglückten, im wahrsten Sinn des Wortes "immediate reaction" vor Ihre hoffentlich nicht verdrehten Augen führen.

Eine absplitternde Totenschädelmaske grinst von oben herab und auf dem Kopf stehend. Dahinter unscharf ein Haus, Bäume und Himmel.

Es ist bei dem wunderbaren Umzug sämtlicher Jedermann-Mitwirkenden der Salzburger Festspiele 2015 entstanden, als wirklich die ganze Stadt Bühne war, wie Max Reinhardt sich das vorgestellt hat. Die Interaktion zwischen Zuschauenden und Jedermännern und -Frauen kann man durchaus als lebhaft bezeichnen, obwohl es sich im konkreten Fall um jene mit dem Tod gehandelt hat.

Damit sie das obere Bild verstehen, gleich das "Making of", das freundlicher Weise Andreas Sanders, mein Lieblingsphotowalkbegleiter ebenso "immediately" festgehalten hat.


Zwei Photos von mir mit der verkehrt gehaltenen Kamera über meinem Kopf, von hinten aufgenommen. Hinter mir das Gerippe des Tod-Darstellers und die Knochenhände auf langen Stäben, mit denen er nach mir greift. Unscharf Menschen in der Franziskanergasse, die mit dem Zug gehen oder auf der Seite stehen, um ihn zu beobachten.

Eigentlich hatte ich meine Kamera ja auf Cornelius Obonja vor mir gerichtet, den damaligen Jedermann, den man im zweiten Bild links neben meinem Ellbogen dank der Unschärfe nur erahnen kann. Dann aber hörte und spürte ich Geklapper und Gekrabbel dicht hinter mir, drehte blitzschnell und auf Verdacht die Kamera, riss sie in die Höh und drückte ab. Ohne irgendwas zu sehen, aber halbwegs erfolgreich, wie ich zu meiner Freude im Nachhinein feststellte.

Es war ein lustvoller Kampf mit dem Tod in darunter verborgener Gestalt von Fritz Egger, im Folgenden auf etwas später quasi regulär aufgenommenen Bildern.


Zwei Bilder des Schauspielers Fritz Egger, der das Gerippe ab dessen Brustkorb auf seinen Schultern trägt, der Beckengürtel hängt auf seine Brust herunter.  Auf dem oberen Photo schaut er ernst unter den untersten Rippen heraus, das untere Bild hält sein Lachen zwischen den unteren Rippen fest.

Photographie, insbesondere die streetphotography, der ich mich verschrieben habe, hat immer mit "immediate reaction" im engeren Sinn zu tun. Auch wenn man länger wo steht oder sitzt, um ein Bild zu machen: Es geht ums Warten auf den richtigen Augenblick, den man dann mit viel Glück festhält.

à propos festhalten. Das Resultat einer zweiten sehr eigenartigen photographischen Begebenheit will ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie hat sich auch beim Photographieren im Zusammenhang mit den Salzburger Festspielen abgespielt und beweist, dass die Photographin sich auf ihre Kamera verlassen kann.

Ich, die ich mit Stativen heftig auf Kriegsfuß stehe und deren Verwendung wenn irgend möglich vermeide, habe es sogar fertig gebracht, die Schnellwechselplatte meines einzig nicht verschenkten Stativs zu verlieren. Also habe ich mir vom oben erwähnten Lieblingskollegen ein Stativ ausgeliehen, um bei den Photoproben der Salzburger Festspiele photographieren zu können.

In aller Ruhe habe ich so wie die Medienleute rund um mich meine Ausrüstung für die Aufführung vorbereitet, auch das Stativ mit entsprechender Verachtung aufgebaut und eine meiner Kameras auf dem ungeliebten geliehenen Teil befestigt. Wobei der Wortteil fest zugegebenerweise etwas übertrieben ist. 

Auf langen Bänken sitzen Menschen mit Photoapparaten, Filmkameras und Laptops, die offene Bühne liegt im Dunkel.

Sie war eben nicht wirklich fixiert und ein zarter Kontakt meines Beins mit dem Bein des an sich soliden Stativs reichte, um die Kamera zum Fliegen zu bringen. Das Fangen misslang, durch den falschen Griff gewann sie sogar noch an Fahrt und zischte in hohem Bogen über mich hinweg, um zwei Bänke vor mir zu landen. Anscheinend genoss sie ihren Flug, sie hielt ihn nämlich selbsttätig fest, wie am nächsten Bild zu sehen.

Gleiche Szene wie im oberen Bild, aber auf den Kopf gestellt. Die selben Menschen aushöherer Perspektive mit Bewegungsunschärfe, die auf eine Drehung der Kamera während des Fluges schließen läßt.

Sollten Sie sich jetzt fragen, ob die Kamera Schaden genommen hat, kann ich Ihnen Erstaunliches berichten: Lediglich die Datumseinstellung hat sich verstellt, die Bilder dieser Aufführung aus dem Jahr 2023 wurden dem Jahr 2025 untergeschoben. 

Eine Prophezeiung meiner Nikon, dass dann fliegende Kameras spannendere Bilder fabrizieren werden, als ich das zustande bringe? Wer weiß!

Soviel also zum photographischen Kopfstand als Folge einer "immediate reaction" von Mensch und Technik. Danke und Entschuldigung, werter und hoch geschätzter Herr Cartier-Bresson.


PS: Für Menschen mit Sehbehinderung sind Bildbeschreibungen als Bildunterschriften eingeblendet.

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