Sonntag, 31. August 2014

BildSchön

»I love the people I photograph. I mean, they’re my friends. I’ve never met most of them or I don’t know them at all, yet through my images I live with them.«
Bruce Gilden



Das Photographieren von Menschen ist ein heikles Thema, in mehreren Beziehungen. Bleiben wir zunächst beim ganz Banalen: kaum jemand gefällt sich, schon gar nicht auf einem Bild. Meist tritt die Versöhnung mit dem eigenen Abbild erst nach Jahren bis Jahrzehnten ein. "Ach, damals war ich eigentlich recht fesch!" wird erstaunt beim Betrachten eines Bildes ausgerufen, das noch vor 10 Jahren Schreikrämpfe hervorgerufen hat. "Photographiert werden ist für mich ärger als eine zahnärztliche Behandlung" ist mir schon oft entgegen geschleudert worden, was sich höchst motivierend auswirkt. Soviel dazu. Über die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper und in Erweiterung mit dem eigenen Abbild werde ich mich an anderer Stelle einmal auslassen.

Jetzt streife ich lediglich ganz kurz die Funktion von Menschen bei der Straßenphotographie, oder, wie üblicher Weise genannt, der street photography.

Ich reise gerne und gar nicht so selten und nähere mich fremden Orten mit Bedacht. Tauche in Landschaften ein, bin von Architektur gefesselt. Aber ohne die Menschen, die diese Orte beleben, kann ich nur die Oberfläche erfassen. Menschen beseelen einen Ort, eine Stadt, eine Landschaft. 

Selbst wenn ich schweigend und ohne Kamera durch die Straßen einer Stadt gehe, bringen Menschen mir diese nah. 

Stellen sie sich eine Vorstadt mit hohen Häusern, uniform konstruiert, an einem heißen Julisonntag vor. Menschenleer. Ein tristes Bild, das eine gewisse Aussage hat. Und nun stellen sie in Gedanken in dieses Bild einen jungen Mann, an eine schattige Wand eines Eingangs gelehnt. Auf den Asphalt brennt die Sonne, deshalb hat er ein Bein angezogen und stützt es an der abbröckelnden Wand ab. Er versinkt in das Spiel mit seinem Handy. Niemand außer ihm ist zu sehen, die Straßenschluchten bilden einen Kessel, in dem die Hitze zu brodeln scheint. Die Hitze, der er ausgesetzt ist.

Durch diesen einen Menschen werde ich ins Bild hineingezogen, empfinde mit ihm die Hitze und die Einsamkeit. Meine Phantasie wird angeregt und mein Gefühl. Ich erinnere mich an ähnliche Situationen, mit denen ich konfrontiert, denen ich selbst ausgeliefert war.

Möglicherweise ist meine Interpretation völlig falsch. Vielleicht liebt er gerade diese Wärme, vielleicht kommt er aus der Dusche und seine Haare sind nicht schweißverklebt, sondern duftend frisch gewaschen. Kann auch sein, dass er überhaupt nicht einsam vor sich hinstarrt, sondern gerade mit seinem Freund E-Mails austauscht und die beiden sich intensiv unterhalten. 

Wir werden es nie erfahren. Aber er hat mich dazu angeregt, diesen mir fremden Ort zu meinem zu machen.

Ähnliches passiert - oder kann passieren - wenn wir ein Bild betrachten. Eigentlich liegen mir jetzt viele Gedanken von Roland Barthes auf der Zunge (oder besser gesagt auf den Fingerspitzen), aber auf ihn werde ich wesentlich ausführlicher zurückkommen (müssen). Deshalb zitiere ich nun Dietmar Kamper.

»Wo ist das, was man sieht? Im Kopf, innen? Oder auf der Bühne, außen? Oder auf der Bühne im Kopf? Oder im Kopf auf der Bühne? Oder irgendwo dazwischen? Schwebend zwischen Veräußerung und Erinnerung?«

Wo also entsteht das Bild, das ich betrachte? Die Frage stelle ich mir oft und gern und greife dabei auch auf die Theorien der Bedeutungsproduktion hin, wie sie vor allem in den Cultural Studies intensiv behandelt werden.

Noch einen dritten Aspekt möchte ich erwähen, einen Aspekt, der mir beim Photograpieren von Menschen besonders wesentlich ist.  Er erfordet meines Erachtens das, was Bruce Gilden im oben zitierten Satz feststellt. Ich persönlich könnte Menschen nicht photographieren, wenn ich sie nicht in diesem Moment "lieben" würde.

Noch einmal zurück auf die banale Ebene des Sich-selbst-Gefallens. Auf keinem Photo habe ich mir je so gut gefallen wie auf jenen, die meine Mutter und meine Tochter von mir gemacht haben. Dabei ist es zwar nicht unwesentlich, dass erstere Photographin war und zweitere ebenfalls gut mit der Kamera umgehen kann. Aber das allein reicht nicht. Ihr liebevoller Blick auf mich ist spürbar. Sie sehen bzw sahen mich so, wie ich gesehen werden will.

So versuche ich, den Menschen, die ich aufnehme, gerecht zu werden. Das Wesentliche, in dem sich ihr Wesen ausdrückt, zu erfassen. Immer im Bewußtsein, dass es mein Blick ist, der sie formt. Dass ich sie nur so abbilden kann, wie ich sie sehe. Aber dass ich sie liebevoll betrachte und so nahe wie möglich an ihre Selbst- und Repräsentation heranzukommen.



»Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen« schreibt Susan Sontag.

Dieser Satz empfinde ich als Mahnung und zugleich als Herausforderung.



Abschließend die Entstehungsgeschichte der beiden gezeigten Bilder.
An einem Sommertag durch Berlin schlendernd hörte ich vom Ende einer Unterführung her Akkordeonklänge. Die gespielten einfachen Melodien fesselten mich weniger als der Anblick eines kleinen Tisches, auf dem eine Schüssel stand und - beim Näherkommen - die Akkordeonspielerin, die quasi langsam von der Wand der Unterführung frei gegeben wurde.

Als ich Blickkontakt aufnehmen konnte, fragte ich sie wortlos, ob ich ein Bild machen dürfte. Sie spielte weiter, strahlte, nickte freudig mit dem Kopf und präsentierte sich mir. Ihr Lächeln, das mich schon von Weitem fasziniert hatte, wandelte sich. Zuerst in sie hinein versunken, war es nun direkt auf mich und meine Kamera gerichtet. Auch nachdem ich das Bild aufgenommen hatte, schauten wir uns noch lange, lächelnd, an. Diesen Blick und nicht nur den kurzen AugenBlick des Photographierens habe ich mitgenommen.

Mit Bruce Gilden gesagt: »I don’t know her at all, yet through my image I live with her.«

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