WHO IS

Ja, wer bin ich wirklich? Das werde ich hier und jetzt weder klären können noch wollen. Denn, in Anlehnung an Arthur Rimbaud: Ich ist eine andere.

Aber meinen Zugang zur Photographie, meine Geschichte mit ihr, das will ich hier darlegen.


Als Tochter einer Photographin und Enkelin einer Ateliersinhaberin wurde ich schon in frühester Jugend infiziert. Nicht nur mit dem Medium sondern vor allem mit dem photographischen Blick. 

Dazu fällt mir eine Begebenheit ein, bei der ich schon 14, 15 Jahre alt gewesen sein muss. Meine Mutter und ich saßen in einem Vaporetto in Venedig, gegenüber hatte sich ein junger Mann breit gemacht. Das Schiff fuhr in Richtung Sonne und so brannten seine roten Haare förmlich im Gegenlicht und ein Lichtsaum legte sich über sein zartes Halbprofil. Meine Mutter krallte sich in meinen Oberarm und flüsterte mir zu: "Ein Botticelli-Knabe, Botticelli reinsten Wassers!" Wir waren so fasziniert von diesem Bild, dass wir vollkommen vergaßen, an unserem eigentlichen Ziel auszusteigen.

So habe ich während meiner Kindheit und Jugend viele blaue Flecken durch den der Ergriffenheit geschuldeten mütterlichen Griff eingeheimst. Der Gegenlicht-Griff war der heftigste und ich erinnere mich, dass ich schon bald anfing, mich zu revanchieren. Die Rache der Blickerbin hinterließ ebenfalls prachtvolle Hämatome auf den Mütterlichen Oberarmen und bei besonders ergreifenden Situationen entwickelten wir die Simultanklammer. Eine intensive Verbindung.


Aber auch die Gerüche der geheimnisvollen Dunkelkammern, die über ein schräges Lichtpult gebeugten Retoucheure (ja, die gab es noch, als ich Kind war!), die wunderbare Salonkamera, die weit bis in die 80er-Jahre verwendet wurde und hinter der man sich verstecken konnte, haben tiefe Eindrücke bei mir hinterlassen.

Nicht zu vergessen all die Photos, die in der im selben Haus wie das Atelier befindlichen Wohnung ausgebreitet waren. Während der Wochen, in denen die Salzburger Festspiele unser Leben auf den Kopf stellten, wurden die Photos der Künstlerinnen und Künstler auf alten Leintüchern in sämtlichen Zimmern zum Trocknen aufgelegt. Eine WPK (Weltpostkarte hieß das Format) so knapp wie möglich neben der anderen und wir Kinder wurden ebenso wie jede verfügbare Person des Haushalts angehalten, die nassen, noch leicht nach Netzmittel riechenden Bilder aufzulegen. Beim Gang durch die Wohnung war Geschicklichkeit gefragt, das Balancieren zwischen den bilderbelegten Tüchern war eine Herausforderung.

Beim Einschlafen wurden mir durch die mich umkreisenden Photos die Gesichter von Fritz Wunderlich, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Walter Berry, Dietrich Fischer Dieskau und wie sie alle hießen, vertraut. Ich tauchte in Opern und Theateraufführungen ein, erfand Geschichten dazu.


Obwohl ich viele Berufswünsche hatte, war zu guter Letzt klar, dass ich Photographin werden wollte. Eigentlich hatte ich vor, mich an der Akademie für Angewandte Kunst in Wien zu bewerben und mich auf Photographie zu spezialisieren oder, wenn das nicht ginge, die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt zu absolvieren. Dann kam mir mein Familienwunsch in die Quere und ich entschied mich für die Schmalspurvariante, nämlich die Photographinnenlehre im Atelier meiner Großmutter und meiner Mutter, wo ich schon ab dem 15. Lebensjahr in den Schulferien gearbeitet hatte.

Ab diesem Zeitpunkt durfte ich auch zu den Photoproben mitgehen, die sich damals manchmal bis spät in die Nacht zogen und von denen ich diverse Schnurren erzählen könnte. 


Besonders intensiv aber ist mir eine spezielle Probe in Erinnerung. Das Folkwang Ballett Essen probte unter anderem "Der grüne Tisch" von Kurt Jooss. Meine Großmutter, die wirtschaftlich dachte und agierte, limitierte das Filmmaterial. "Ballett geht nicht" war ihr nicht an den Haaren herbeigezogenes Argument, denn das Interesse an Photos und dadurch der Verkauf von Bildern von Ballettaufführungen hielt sich in Grenzen.

Also starteten wir mit einigen wenigen Filmen, was vor allem bei den Mittelformatkameras (meine Mutter photographierte meistens mit Rollei und Telerollei) schmerzlich war, denn im Gegensatz zu Kleinbildfilmen mit 36 Aufnahmen geben die Rollfilme nur 12 Bildern eine Chance, aufgenommen zu werden.

Es kam, wie wir vorausgesehen hatten, die Filme waren bereits nach kurzer Zeit belichtet. Was uns aber nicht daran hinderte, die ganze Probe lang weiter zu photographieren. Ohne Film. Nur aus Lust und Leidenschaft.


Diese photographische Obsession habe ich nie wieder abgelegt. Ich habe, um das noch kurz zu erwähnen, die Lehre nicht abgeschlossen sondern Kinder in die Welt gesetzt und mich später, als ich noch einmal vor der Berufswahl stand, gegen den Photographinnenberuf entschieden. Ich bereue es nicht, gar nicht.

Denn die Photographie hat mich nie losgelassen, ich habe sie nie losgelassen. Sie ist eine meiner Leidenschaften, wahrscheinlich die intensivste und anhaltendste.


Intensiv ist auch mein Wunsch, sie zu ergründen. Deshalb habe ich, als ich Jahre später doch noch studiert habe, meine Diplomarbeit zum Thema Photographie verfasst.

Und deshalb schreibe ich jetzt diesen Blog. Um wieder einen Schritt zurück zu gehen und das Medium Photographie mit leichter Distanz zu betrachten. Um mehr zu sehen.


PS: Wenn ich mir die Selfies so anschaue, ist darüber hinaus noch etwas gleich geblieben: die eigenartige Stellung der Beine beim Photographieren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ihre Kommentare und Diskussionsbeiträge sind höchst erwünscht. Da ich aber Spam ausschließen will, moderiere ich die Kommentare. Haben Sie bitte Verständnis, dass Ihr Beitrag nicht sofort erscheint.